Essay
Transformationen:
Pfadwechsel in eine Kultur der Nachhaltigkeit
Der vorliegende Text ist ein Beitrag für BROTBAUMREGIME – ein Ausstellungsprojekt zur Sauerländer Waldkultur der Künstlerin Theresa Kampmeier.
von Severin Caspari
Die eskalierende Klimakatastrophe wirft die Frage auf, wie sich Gesellschaften wandeln können. Nur: Für den Weg in die nachhaltige Gesellschaft gibt es keinen Masterplan. Transformation ist nicht planbar. Anders als bei einer Maschine lassen sich gesellschaftliche Entwicklungen nicht zentral steuern. Wer den Bauplan einer Maschine kennt, kann sie reparieren, wenn sie kaputt geht. Für Gesellschaften gibt es keinen Bauplan, keine Bedienungsanleitung. Trotzdem beherrscht die Idee von der Welt als Maschine unser Denken. Auch in der Klimafrage geben deshalb mechanische Lösungen den Ton an. Gesucht wird die passende Stellschraube, der richtige Knopf, der größte Hebel, um die gewünschten Veränderungen herbeizuführen. Mein Text behandelt die Frage, warum dieses Denken in die Irre führt und welche Pfade wir stattdessen beschreiten können.
Unser Weltbild bestimmt unser Handeln. Die Vorstellung, dass der Mensch etwas von der Natur Getrenntes sei, über der Natur stehe und sie beherrschen könne, hat uns gefährlich nah an ökologische Kipppunkte gebracht. Dieses Weltbild führt darüber hinaus zu einem mechanistischen Verständnis von Wandel. Das klingt dann so: Alles wird gut, wenn die Politik nur endlich die notwendigen Maßnahmen und Programme beschließt. Oder wenn Unternehmen und Organisationen die passende Strategie auf den Weg bringen. Werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, so die Vorstellung, greift ein Zahnrad ins andere, beginnen sich die Windräder zu drehen und die Wärmepumpen zu surren. Die Transformation kommt in Gang. Oder doch nicht?
Echte Nachhaltigkeit ist tiefgreifend
Zunächst: Echte Nachhaltigkeit erfordert mehr als einen Austausch der Infrastruktur von fossil nach erneuerbar. Nachhaltigkeit bedeutet auch mehr als die Klimakrise zu bekämpfen, wie wir später sehen werden. Es greift zu kurz, das Kohlekraftwerk durch die Photovoltaikanlage oder den Benziner durch das E-Auto zu ersetzen. Denn auch grüne Technologien basieren auf endlichen Ressourcen und ihr Einsatz kann schädlich für Ökosysteme sein. Ihr Ausbau ist unerlässlich für die Transformation, sollte aber wohldosiert sein. Und nicht für jeden Bereich gibt es technologische Lösungen. Unser Lebensstil wird sich unweigerlich ändern müssen. In einer nachhaltigen Zukunft werden wir etwa anders essen, reisen und wohnen. Wie kann der Wandel beginnen?
Transformation lässt sich nicht von oben steuern. Denn Menschen sind kein Rädchen im Getriebe. Und am Ende sind es immer Menschen, auf deren Verhalten es ankommt und die in Bewegung kommen müssen. Das betrifft diejenigen, die Entscheidungen auf den Weg bringen können, genauso wie jene, die die Folgen dieser Entscheidungen in ihr Leben lassen müssen. Hier beginnt ein typisches Henne-Ei-Problem: Die Politik verweist auf die Bürger*innen und die Unternehmen, die man nicht überfordern dürfe. Und an den Küchentischen sind sich viele einig, dass die Politik mal den Anfang machen müsse. Das Ergebnis: viel Heiße-Kartoffel-Spiel, wenig Transformation.
Wie kann das sein, wo sich doch substantielle Mehrheiten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft regelmäßig für die nachhaltige Gesellschaft aussprechen? Und wo vielen Akteuren eine gewisse Emsigkeit ja gar nicht abzusprechen ist. Die Transformation lahmt, weil sie weithin als Sachzwang begriffen wird, als lästige Notwendigkeit. Wir müssen ja. Folgerichtig soll jede Veränderung möglichst unauffällig ablaufen und das Leben ansonsten so weitergehen dürfen wie bisher. Diese Idee ist zum Scheitern verurteilt, da technische Lösungen allein nicht reichen werden und selbst grüne Technologien mittlerweile Widerstände wecken. Der Wandel wandelt wenig, solange er als Sachzwang und nicht als etwas Erstrebenswertes verstanden wird. Oder sich das Erstrebenswerte darin erschöpft, dass man auch mit grünen Technologien das Bruttosozialprodukt steigern kann. Aber was dann?
Menschen sind Beziehungswesen
Wir Menschen sind Beziehungswesen. Wir orientieren unser Verhalten an dem Verhalten von anderen und daran, was wir für normal halten. Normal ist zum Beispiel das Prinzip: viel leisten, um sich viel leisten zu können. Normal ist auch das permanente Streben nach Steigerung: mehr Ranklotzen für mehr Anerkennung, mehr Status, mehr Reichweite. Nur, dass aus dem viel schnell ein zu viel wird. Zu viel für den Körper und die Psyche. Zu viel Ressourcenverbrauch für einen gesunden Planeten. Anders gesagt: Die Normalitätsvorstellungen, an denen sich unsere Gesellschaft weithin orientiert, sind nicht nachhaltig.
Veränderung beginnt in dem Moment, in dem Menschen anfangen, diese Normalität zu hinterfragen und sich für alle anderen sichtbar anders zu verhalten. Hierin liegt für mich das größte Potential für den Wandel. Das Ausscheren aus den sozialen und kulturellen Praktiken der Nicht-Nachhaltigkeit im Freundeskreis, auf der Arbeit oder im Politischen setzt eine transformative Kraft in Gang, die bislang stark unterschätzt wird. Thomas Bruhn und Jessica Böhme beschreiben diese Kraft in einer faszinierenden Studie als Schlüssel zu mehr Nachhaltigkeit: „Der große Wandel entsteht, wenn wir bewusst die Art verändern, wie wir in dieser Welt in Beziehung stehen – mit anderen Menschen, mit der Umwelt und nicht zuletzt mit uns selbst“[1].
Ein solches Wandelverständnis sollte nicht als eine Abschiebung der Verantwortung auf das Individuum missverstanden werden. Der Ausstieg aus der Kultur der Nicht-Nachhaltigkeit ist kein Aufruf zum Rückzug ins Private. Im Gegenteil. Es kann Mut machen dort zu wirken, wo Menschen tagtäglich ihre Zeit verbringen: im Unternehmen, in der Politik, im Ehrenamt, in der Familie oder im Freundeskreis. Es ist ein Angebot, die Henne-Ei-Logik hinter sich zu lassen, nach der die Transformation entweder nur von oben geplant oder von unten eingefordert werden kann.
Ein solcher Kulturwandel bedeutet Pfadwechsel statt Masterpläne. Pfadwechsel im Plural. Denn es gibt nicht den einen Weg, das eine Lebensmodell der Nachhaltigkeit, an dem wir uns ausrichten könnten. Was kann uns trotzdem Orientierung geben?
Drei Ansätze für Transformation
Erstens: Wir sollten uns da, wo wir wirken, stets fragen, ob unser Tun zukunftsfähig ist, das heißt vereinbar mit den Grenzen der Belastbarkeit für unsere Ökosysteme. Das Wissen hierzu liegt seit vielen Jahren vor. So informiert beispielsweise der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Global Umweltveränderungen (WBGU) regelmäßig über notwendige Schritte in allen Bereichen. [2]
Zweitens: Statt an Strategien sollten wir uns an Prinzipien ausrichten, die der Transformation dienlich sind. Gibt uns unser Handeln Energie und erfahren wir einen Sinn darin? Ein Wandel, der uns ausbrennt und zynisch werden lässt, ist weder attraktiv noch nachhaltig. Wenn Energie und Sinn auf der Strecke bleiben, sollten wir dringend umsteuern. Ein wichtiges Prinzip kommt hinzu: Verlangt uns unser Tun Mut ab? Mut zur Abweichung, zur Konfrontation und zum Aussteigen aus einer Kultur der Nicht-Nachhaltigkeit. Jede Veränderung in Richtung zukunftsfähiger Lebensweisen, die uns Mut abverlangt, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Drittens: Es braucht Räume und Anlässe, damit Menschen aus unterschiedlichsten Richtungen in Kontakt, in Dialog und ins Tun kommen können. Räume, in denen sich Beziehungen wandeln und neue Lösungen auftauchen dürfen, auf die wir in hergebrachten Formaten nicht gekommen wären. Solche Lösungen sollten sich auf den Ort beziehen, an dem sie entwickelt wurden. Auf diese Weise können nach und nach widerstandsfähige Mischkulturen der Nachhaltigkeit entstehen. Beginnen können wir den Dialog mit Fragen: Wie wollen wir (wirklich) leben? Was wollen wir hinter uns lassen? Wie wollen wir unsere Mitwelt gestalten? Und was brauchen wir dazu? Was wir ganz sicher brauchen werden, ist das Vertrauen, dass eine ganz andere Zukunft möglich ist. Auch wenn wir sie uns jetzt noch nicht vorstellen können.
Quellen
- Thomas Bruhn und Jessica Böhme: Mehr sein, weniger brauchen. Was Nachhaltigkeit mit unseren Beziehungen zu tun hat, Weinheim 2021.
- www.wbgu.de